Andachten

01. April 2023

ÜberWunden:
An(ge)dacht im April

„Wunden sind meist stumm, doch wenn sie sprechen, klingen sie schrecklich.“ Mit diesem Satz beginnt ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung über das verheerende Erdbeben in der Türkei (SZ vom 18./19.3.23). Natürlich können Wunden selbst nicht sprechen. Aber Verwundete tun es. Oder sie tun es nicht. Beides ist schrecklich und schwer zu ertragen. Das laute Leid der Menschen, herausgeschrien und nicht zu überhören. Und das stumme Leid, wenn die Grausamkeit, die erlittene Not einem Menschen die Sprache verschlägt.

In diesen Tagen werden die evangelische und die katholische Kirche mit einer ökumenischen Osterbotschaft zu sehen sein. „Überwunden“ steht groß auf den Plakaten. Das Wort ist einem Satz Jesu aus seiner letzten Rede an seine Freundinnen und Freunde entnommen: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Joh 16,33) Auf den Plakaten ist das Wort „überwunden“ so gesetzt, dass zwei unterschiedliche Facetten von Ostern in den Blick kommen.

Ostern ist die Zeit, um über Wunden zu sprechen. Ganz besonders während der Karwoche, in der Jesu Weg ans Kreuz intensiv bedacht wird. Und wir sollten diese Zeit nicht abkürzen. Der Wunsch danach ist groß. Seit Jahren ist der Karsamstag immer mehr zum Ostersamstag geworden. Wahrscheinlich aus dem redlichen Bedürfnis heraus: Es möge bitte heller werden. Der Trost und das Licht des Ostermorgens solle sich schneller ausbreiten.

Ostern aber ist die Zeit, um über Wunden zu sprechen. Das mussten auch die Freundinnen und Freunde Jesu damals lernen. Jesus sagt voraus, dass sie ihn angesichts seines Todes verlassen werden. Es zeigt sich: Wenn das Reden über Wunden unterbleibt, dann folgen Zerstreuung und Einsamkeit. Das war bei Jesus damals so. Und das ist heute in unseren Beziehungen, in denen wir leben, nicht anders. Es braucht gegenseitigen Beistand, damit niemand in seiner Not allein ist. Hier nimmt aller Trost seinen Anfang.

Jesus selbst stellt damals fest: „Ich aber bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.“ (Joh 16,32) Hier klingt die zweite Facette von Ostern an. Die Verbindung zu Gott wird bleiben, durch alle Grausamkeiten, durch den Tod selbst hindurch. Christus hat die Welt überwunden. Was aber bedeutet das für unsere menschliche Verwundungen?

Für mich sind an dieser Stelle zwei Gedanken wichtig. Die biblischen Osterzeugnisse sind nüchtern und klar. Die Wunden dieser Welt bleiben. Sie werden durch Jesus nicht ausgelöscht und schon gar nicht übergangen. Er selbst trägt seine Wundmale weiterhin am Körper. Wir werden also auch in Zukunft über Wunden sprechen müssen. Denn sie gehören zu unserem Menschsein in dieser Welt dazu. Durch Ostern aber verlieren sie ein wenig von ihrem Schrecken und ihrem Schmerz. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Christus verbindet sich mit uns, damit unsere Wunden heilen. Seine leidenschaftliche Liebe hat verbindende Kraft.

Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!

Mit diesem alten Gruß wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben hoffnungsstarke Ostern,
Ihr Superintendent Henning Waskönig.

Cookie Hinweis
Diese Webseite verwendet Cookies. Mit der Nutzung dieser Website stimmen Sie der Nutzung dieser Cookies zu. Siehe auch unsere Datenschutzhinweise
Zur Kenntnis genommen