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05. Januar 2021

„Habt das Herz auf dem rechten Fleck“

Mein Vater hat mit gezeigt, wie man einen Stein ins Wasser schmeißt, so dass er übers Wasser hüpft. Er hat mir das große Einmaleins beigebracht, und wie man einen Reifen wechselt. Und er hat mir mitgeben, dass man nicht aufgibt, bevor man es überhaupt versucht hat. Was er getan hat, hat er intensiv, mit Herzblut getan. So wie er einer Freundin von mir das Fahrradfahren beigebracht hat, weil ihr Vater dazu zu alt war. Er hat sich stets um die gekümmert, die weniger hatten als wir. Er hatte das Herz auf dem rechten Fleck...

Mit ihren Gedanken zur Jahreslosung wünschte Superintendentin Verena Schmidt ein gesegnetes Jahr 2021. Foto: Kristina Hußmann

... seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist. So lautet die Jahreslosung aus dem Lukasevangelium für das neue Jahr 2021. Wie oft ist das in den letzten Monaten geschehen? Wie oft haben sich Menschen barmherzig verhalten. An den Krankenbetten, auf den Intensivstationen und in den Pflegeheimen. In den Kindertagesstätten und an den Kassen der Supermärkte. Dort, wo Eltern und Lehrer*innen, sich zwischen Präsenzunterricht und homeschooling bewegen, wo Barmherzigkeit sicher auch manches Mal geübt werden musste. Bei denen, die sich um Menschen in den erbärmlichen Flüchtlingslagern kümmern. Bei den Frauen, Männern und Kindern, die sich gegenseitig gestützt haben, als sie am Grab von lieben Angehörigen standen.

Auf die Frage: „Wie geht es Ihnen?“, habe ich oft die Antwort gehört: „Wie soll es einem schon gehen? Man kann ja doch nichts machen“. Als würden sie den ganzen Tag nichts machen, die Eltern und Großeltern, die Ärztinnen und Pfleger, die Nachbarn und Freundinnen, die Menschen, die in den Gemeinden nachfragen, wem man eine Freude bereiten könne.

Manchmal frage ich mich, warum die oft am meisten Barmherzigkeit zeigen, die selbst nicht aus dem Vollen schöpfen. Könnten die Starken nicht mehr tun mit ihrem Reichtum an Macht, Einfluss, Ansehen und Geld? Sind sie arm an Herzblut und Hingabe?

Auf den Intensivstationen sterben jeden Tag die mit dem schwächsten Immunsystem. Auf dem Arbeitsmarkt verlieren jeden Monat die mit den geringsten Qualifikationen. Bei den kleinen Selbständigen müssen zuerst die aufgeben, die am wenigsten auf der hohen Kante haben.

Und bei all dem denke ich: Man kann ja wirklich nichts machen in dieser Zeit außer Hungernden zu essen zu geben, Dürstenden zu trinken, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke und Gefangene besuchen, und Tote begraben. Das kann man machen. Und das ist viel. In der christlichen Tradition sind das übrigens die „sieben Werke der Barmherzigkeit“.

Barmherzigkeit ist eine Fähigkeit des Herzens. Wer barmherzig ist, öffnet sein Herz und seinen Verstand für die in Not, hat Mitleid mit den Armen und Elenden. Er sieht mit dem Herzen und tut etwas Gutes mit den Händen. So sollen wir sein, die Kinder Gottes, unseres Vaters.

Wie der „barmherzige Samariter“, der den Verletzten verbindet und pflegt und an einen sicheren Ort bringt. Ein Fremder. Einer, von dem man ein solches Verhalten am wenigsten erwartet hätte.

Warum lassen wir uns dieses Jahr nicht anstecken von einem anderen Virus? Einem Virus, der unsere Welt verbessert. C-O-R: nur die ersten drei Buchstaben. Cor – das lateinische Wort für Herz. Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen anstecken lassen von Herzlichkeit, Barmherzigkeit. Ich wünsche mir mehr denken und entscheiden mit dem Herzen. Dass beherzt abgesagt wird, was nicht sein muss. Und genauso beherzt ermöglicht wird, was dem Nächsten hilft. Denn das Herz sieht weiter als die Augen es können.

Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist. Habt das Herz auf dem rechten Fleck und gebt nicht auf, bevor ihr es nicht versucht habt!

Ein gesegnetes 2021!
Ihre Superintendentin Verena Schmidt

 

Diese Andacht zur Jahreslosung gibt es auch als Video-Andacht auf YouTube:
https://www.youtube.com/watch?v=w8ga6Se6Qe0&feature=youtu.be

 

 

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