Andachten

03. September 2024

„Mutig bleiben und einander als Mitmenschen sehen“:
An(ge)dacht im Herbst von Pfarrerin Frauke Hayungs

Eigentlich wollte ich einen anderen Text schreiben. Der Bibelvers für die erste Woche im September lautet: „Lobe GOTT, meine Seele, und vergiss nicht, was GOTT dir Gutes getan hat.“ (Psalm 103,2) Da wollte ich etwas übers Singen schreiben und davon, dass wir im AKH einen kleinen Chor gegründet haben und dass das hebräische Wort für Seele auch mit Kehle übersetzt werden kann, und wie gut das doch passt. Doch dann sind mir die Worte in der Feder stecken geblieben, so wie einem das Lachen in der Kehle steckenbleibt. Ein Terrorist hat in Solingen ein Attentat verübt.

Mein Herz ist bei den Menschen, die das Attentat miterleben mussten. Bei den Familien, deren liebste Menschen getötet und verletzt wurden. Ich kann mir ihren Schmerz nicht vorstellen. Ich verachte Menschen, die Terror säen, um unsere freie Gesellschaft zu zerstören. Und ich bin so wütend, dass manche sich anmaßen, dies im Namen Gottes zu tun. Und dann kam zu all der Trauer noch Unbehagen hinzu, als in der Folge des Attentates versucht wurde, Menschengruppen gegeneinander auszuspielen. Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie die Angst, die durch Terror entsteht, für politische Spielchen genutzt wird.

Es ist völlig nebensächlich, ob ich Atheistin bin oder einer Religion angehöre, ob ich eher gelb wähle oder eine andere demokratische Farbe, ob ich hier geboren bin oder ganz woanders. Zentral ist, dass wir Mitmenschen, dass wir Nachbarn sind. Und dass wir in einer freien und vielfältigen Gesellschaft leben möchten. Und – ja-, das ist anstrengend. Weil alles demokratisch ausgehandelt werden muss. Weil es oft nicht so geht, wie ich es mir wünsche. Weil sehr unterschiedliche Menschen zusammenleben, die voneinander lernen und sich aneinander reiben, die miteinander feiern und auch streiten. Und weil manche von uns eben keine freie und komplizierte Gesellschaft aushalten können, sondern einfache Antworten bevorzugen.

Meine Hoffnung ist, dass Sie und ihr und ich und die Mehrheit unserer Nachbarinnen und Mitbürger, - dass wir uns trotz allem nicht einschüchtern und terrorisieren lassen. Weder von Islamisten noch von Rechtsradikalen. Sondern dass wir mutig bleiben und nicht aufhören einander als Mitmenschen zu sehen. Dass wir das suchen und sehen, was hier gut ist.

Und da passt der Bibelvers doch wieder, besonders der zweite Teil: „... vergiss nicht, was GOTT dir Gutes getan hat.“

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