Andachten

15. März 2020

Andacht Zur Corona-Krise:
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit (2. Timotheus 1,7).“

Liebe Menschen im Evangelischen Kirchenkreis Hagen, in der Bibel gibt es viele Texte, die etwas von Endzeitstimmung verbreiten. Ich konnte mich nie so richtig dafür erwärmen. Sie ließen mich stets ein wenig befremdet und ratlos zurück. So fern, dass mich die Dringlichkeit nicht berührte. Und nun sind wir mitten in der Corona-Krise.

Und ich erlebe eine unwirkliche Endzeitstimmung am eigenen Leibe. Corona kommt mir nahe, bis vor meine Haustür. Erst schien diese neue Krankheit weit entfernt. Ich dachte am Anfang noch: „Nun regt euch mal nicht auf. Die Grippe fordert viel mehr Todesopfer.“ Ich schäme mich für die Nonchalance, mit der ich das aus der Ferne so sagte. 

Dann war ich erst einmal im Urlaub. Und in New York wo ich eine Freundin besucht habe, kam die Corona immer näher. Der Arbeitgeber meiner Freundin sagte Konferenzen ab. Ich fing an mir immer öfter und gründlicher die Hände zu waschen und bin dann doch lieber mit einem Uber statt mit der U-Bahn zum Flughafen gefahren. 

Und zurück in Deutschland überschlagen sich die Ereignisse. Wahrscheinlich haben Sie die letzte Woche auch so erlebt. Man konnte richtig spüren, wie die Krise an Fahrt aufnahm. Irgendwann dann die Entscheidung in unseren Gemeinden: Wir müssen alles absagen. Sogar die Gottesdienste am Sonntag. Und irgendwie wird der Fokus immer kleiner, bei mir zumindest, wenn ich so im Krisenmodus bin. Wie ein Brennglas: Ich schaue fast stündlich nach, was es für neue Nachrichten gibt. Es gibt nur noch ein Thema: Corona .Fast schon Endzeitstimmung. Ich rufe mir in Erinnerung: Das hier ist noch nicht die Apokalypse. Ruhe bewahren ist besser als das Haus mit Klopapier vollzustellen. Angst ist ein schlechter Berater. Umsicht und Fürsorge für meine Mitmenschen sind angesagt. 

Eine spannende Erfahrung heute, am Vorabend des nicht zu haltenden Gottesdienstes (es ist gerade Samstag spät), ist für mich: In der Krise fangen biblische Texte, die mir eher fern sind, neu an zu sprechen. Auch unser Predigttext, über den ich am Sonntag predigen wollte:

Lukasevangelium, Kapitel 9,Verse 57 bis 62
Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Was für ein heftiger Text. Aber damals mit Jesus, das war auch echt eine heftige Zeit. Vielleicht wirkt der Text so befremdlich, weil es schwer ist, mich in die Heftigkeit der Zeit damals, in die Dringlichkeit von Jesu Anliegen einzufühlen. Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Er ist schon auf dem Weg zum Kreuz. 

Sein Ruf in die Nachfolge hört sich ungemütlich an. Das wird keine Landpartie. Keine Grube wie die Füchse, kein Nest wie die Vögel, nichts, wo er sein Haupt hinlegen könnte. Doch plötzlich geht mir auf: Jetzt hab ich in den letzten Tagen Stunde um Stunde Nachrichten und immer neue Breaking News über das Corona-Virus verfolgt, als gäbe es nur dieses eine Thema. Aber was ist eigentlich mit den Flüchtlingen an der Grenze zu Griechenland? Von denen höre ich gar nichts mehr. Die Corona-Nachrichten haben sie aus meinem Newsfeed gekickt. Der umherziehende Jesus, der nichts hat, wo er sein Haupt hinlegt, holt sie in meine Aufmerksamkeit zurück. Jesus ist wie sie. Unterwegs. Ohne Obdach. Mensch. Wie die Menschen auf der Flucht und wie ich und wie Sie auch. Jesus fordert mich heraus dieses Mitmenschsein zu fühlen. 

Ich glaube zur Nachfolge heute gehört, dass unsere Herzen und Hirne neben den Corona-Nachrichten auch Platz für unsere Mitmenschen behalten. Vielleicht sogar, dass wir da bewusst Platz für sie einräumen. Vielleicht bekommen wir erst morgen wieder Klopapier. Na und? Vielen machen die Nachrichten solche Angst, dass sie sich zu Hamsterkäufen hinreißen lassen. In ihrer Angst haben auch sie unsere Mitmenschlichkeit und Freundlichkeit verdient. 

Ich habe durch Jesu provokanten Ruf in die Nachfolge gemerkt, wie verengt mein Blick in den letzten Tagen geworden ist. Auch wenn es mir - und Ihnen vielleicht auch - schwerfällt den Blick zu heben: Es gibt neben dem Virus auch andere Themen und Menschen. 

Ich möchte mit Ihnen zusammen für uns alle in dieser Krise und auch für den Frieden in Syrien beten. Für die Frauen und Männer und Kinder, die auf der Flucht sind. Für die große Mehrzahl der Menschen, die nicht so wohlhabend und wohlgenährt sind, wie ich und Sie. Ich möchte, dass wir uns gegenseitig Mut machen, die Reichweite unserer Möglichkeiten zu erkunden. Auch jetzt. Was können wir für Menschen tun, die gerade in Nöten sind? Vielleicht nicht besuchen, aber doch anrufen. Vielleicht Älteren oder Kranken, die gerade nicht das Haus verlassen können, bei Einkäufen helfen. Oder für Ärzte ohne Grenzen oder die Mittelmeerrettung spenden. Nicht aufhören für den Frieden zu beten. Dazu beitragen, dass die im Blick bleiben, die gerade nicht in den Schlagzeilen sind.

Der zweite Teil unseres Predigttextes bleibt mir fremd. Echtgesagt: Dass etwas so dringlich ist, dass ich freiwillig nicht zur Beerdigung meiner Mutter gehen würde, kann ich mir auch jetzt nicht vorstellen. Andererseits: Ich hätte mir bis letzte Woche auch nicht vorstellen können, dass alle Gottesdienste abgesagt werden. Besondere Zeiten erfordern offenbar besondere Maßnahmen. Und manchmal erkennt man die Besonderheit der Zeit auch daran, wie außerordentlich die Maßnahmen sind. 

Jesus hat seinen Jünger*innen damals klar gemacht: „Mir geht es ums Ganze. Ich fackele nicht rum. Sondern ich will das Reich Gottes allen verkünden. Und das ist gerade dringlicher als alles andere. Es ist eine Frage von Leben und Tod. Denn wer mir nachfolgt, wird das ewige Leben haben. Selbst meine Hinrichtung nehme ich dafür in Kauf. Nichts ist wichtiger.“

Nichts ist wichtiger für Jesus als Sie und ich und all die anderen Menschen auch. 
Wir sind alle nicht Jesus. Zum Glück. Aber Jesus ist für uns alle. Auch für die, die nicht mit ihm rumgezogen sind. Maria und Marta zum Beispiel haben ein anderes Modell der Jesusnachfolge gelebt.
Aber die Krassheit, mit der Jesus hier spricht, schreckt mich auf. Nichts ist wichtiger als die Liebe Gottes. Nichts ist wichtiger als die Freihei tund das Leben, die Gott uns durch Jesus Christus geschenkt hat. Jesus möchte, dass wir auf dieser Spur bleiben. Auf seiner Spur bleiben.

Da passt das Bild des Pfluges, der seine Spur auf dem Feld zieht. Nicht abgelenkt von dem was war, nicht nach rechts oder links.

„Nichts ist wichtiger.“

Manchmal schaff ich das nicht so gut. Mache auch Schlangenlinien. Frage mich, was Jesus wohl über meine Furchen denkt. Preisverdächtig sind die nicht. Dazu braucht es noch nicht einmal eine Corona-Krise. Manchmal reicht der alltägliche Wahnsinn schon aus. 

Wir erleben gerade eine außergewöhnliche Zeit. Manches erscheint überscharf und beängstigend.  Manch eine verliert den Kopf und kauft kiloweise Dosengerichte ein.  Ein anderer fängt an, seine Mitmenschen mit Gerüchten Angst zu machen.  Wieder andere nehmen die richtigen und überaus wichtigen Maßnahmen der Solidarität durch Hygiene und Distanz nicht ernst.

Die Kunst wird wohl darin bestehen, nicht den Kopf und das Herz zu verlieren. Nicht zu vergessen, was wirklich wichtig ist: Dass wir alle, Sie und ich, von Gott geliebt sind. Gottes Liebe zu uns hat sich in seiner Mitmenschlichkeit in Jesus Christus gezeigt. Er ist wie wir: Flüchtling an der Grenze und im Mittelmeer, Kranke, die um ihr Leben kämpft, Krankenpfleger und Medizinerin, Politikerin und Kassierer an der Supermarktkasse. 

In seiner Nachfolge, mitmenschlich, umsichtig und ohne Panik, mit dem Blick für unsere Nächsten die kommende Zeit bestehen, erscheint mir ein guter Plan. Seien Sie alle behütet!

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. 
2. Timotheus 1,7

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. 

Amen

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